Lyndon B. Johnson: Der verkannteste US-Präsident des 20 Jahrhunderts - WELT (2024)

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John F. Kennedys Todestag, der 22. November 1963, war zugleich der Beginn der Präsidentschaft Lyndon B. Johnsons. Noch auf dem Rollfeld, vor dem Rückflug der Präsidentenmaschine aus Dallas, mit Kennedys Sarg an Bord, wurde dessen Vize als Nachfolger vereidigt. Obwohl die unverzügliche Amtsübernahme ein Gebot der Staatsräson war – es durfte erst gar nicht der Eindruck entstehen, die Supermacht USA sei auch nur für einen Augenblick führungslos – , wurde LBJ dieser Akt als pietätlose Usurpation ausgelegt.

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Wesentlichen Anteil an diesem Negativimage hatte der Kennedy-Clan – namentlich Kennedys Bruder Robert, der Johnson für einen ungehobelten, inkompetenten Provinztölpel hielt, der des Amts des großen JFK unwürdig sei. Dieses Klischee vom geistig minderbemittelten Primitivling, das in dem populären groben Scherzwort seinen Niederschlag fand, er sei zu dumm, um gleichzeitig zu furzen und Kaugummi zu kauen, hängt Johnson bis heute an. In dem (im Übrigen großartigen) Film „Der Butler“ von 2013 etwa tauchte es wieder auf: Dort sieht man LBJ, wie er seinen angewiderten Beratern durch die geöffnete Toilettentür rüde Anweisungen gibt, während er auf der Kloschüssel sitzend sein großes Geschäft verrichtet.

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Im Schatten der glamourösen Figur John F. Kennedys und seiner von der Nachwelt gesponnen Heldenlegende konnte der grobschlächtige, stets etwas kauzig wirkende Texaner mit dem breiten Südstaatenakzent vor dem breiten Publikum wie vor der Geschichte keine Gnade finden. Doch bis heute täuscht man sich in Lyndon B. Johnson und seinen politischen Fähigkeiten. Denn in Wirklichkeit war er einer der erfolgreichsten US-Präsidenten aller Zeiten.

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Er war es, der die epochalen Bürgerrechtsgesetze und damit die einschneidendste Veränderung der US-Gesellschaft seit Abraham Lincolns Dekret zur Abschaffung der Sklaverei durchsetzte. Der Civil Rights Act von 1964 und der Voting Rights Act von 1965 beseitigten die legalen Grundlagen rassistischer Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung, die in den Südstaaten noch allgegenwärtig war, und katapultierten die USA damit in ein neues Zeitalter vollständiger rechtlicher Gleichheit aller ihrer Bürger.

Für diese Gesetzgebung hatte John F. Kennedy vergeblich gekämpft, weil er die erforderlichen Mehrheiten dafür im Kongress nicht zustande brachte. Das lag auch daran, dass er es verschmäht hatte, für dieses Ziel die Kompetenz seines Vizepräsidenten zu nutzen. Dabei war Johnson, im Gegensatz zu dem relativ unerfahrenen Kennedy, ein gewiefter und erfahrener Parlamentarier, der es verstand, Bündnisse über die politischen Lagergrenzen hinweg zu schmieden. Als Präsident konnte er diese Fähigkeiten nunmehr eindrucksvoll unter Beweis stellen.

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Dabei handelte Johnson nicht nur aus machtpolitischem Kalkül, sondern aus der tiefsten Überzeugung heraus, dass die amerikanische Gesellschaft keine Zukunft haben würde, sollte sie die Schande der Rassentrennung weiter zulassen und damit aufs Skandalöseste gegen ihre eigenen Gleichheitsideale verstoßen. Dass er selbst aus den noch immer rassistisch dominierten Südstaaten stammte, unterstreicht zusätzlich, welche außergewöhnliche Leistung es war, dass Johnson zu diesen Einsichten kam.

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Dabei hat er es nie unternommen, die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung marktschreierisch für sich und seine Politik zu reklamieren. Vielmehr hob er stets hervor, dass die endlich errungene gesetzliche Gleichstellung allein dem langen, mutigen Kampf der schwarzen Bürgerrechtsaktivisten zu verdanken war.

Bei den Präsidentschaftswahlen Ende 1964 errang Johnson einen überragenden Sieg über den rechtslastigen republikanischen Kandidaten Barry Goldwater und emanzipierte sich damit von dem Makel, seine Präsidentschaft nur einer der schlimmsten Tragödien der amerikanischen Geschichte zu verdanken zu haben. Hatte er sich im ersten Jahr zuvörderst als getreuer Fortsetzer des politischen Erbes Kennedys präsentiert, konnte er nun sein eigenes Reformprogramm entwickeln, das vornehmlich unter der Zielsetzung der Armutsbekämpfung stand und das er unter das Motto „The Great Society“ stellte.

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Johnson brachte in seiner Amtszeit 80 Gesetze durch, die weichenstellende Verbesserungen in der Sozial- und Bildungspolitik, im Gesundheitswesen und nicht zuletzt im Umweltschutz bewirkten. Mancher Experte ist der Ansicht, dass die USA kein besseres Jahr der Prosperität und sozialen Erneuerung gesehen hätten als 1965.

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Doch alle diese historischen Verdienste Johnsons verschwanden in der kollektiven Erinnerung hinter den spektakulären Schrecken, die gleichfalls in seine Amtszeit fielen. Ermutigt durch die Erfolge der schwarzen Bürgerrechtskampagnen, die sie gleichwohl als halbherzig und anpasslerisch verachteten, radikalisierten sich Teile der Black-Power-Bewegung bis hin zu einem grassierenden Kult der Gewalt (wie ihm die Black Panther Party frönte), und in amerikanischen Städten brachen blutige Rassenunruhen aus.

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Johnson stand nun in Teilen des weißen Establishments als der Mann da, der mit seiner liberalen Gleichheitspolitik dieser gewalttätigen Entwicklung die Tür geöffnet hatte. 1968 folgten die Morde an Martin Luther King und Robert Kennedy, die den Eindruck verstärkten, die USA seien im Begriff, in einer Flut von Gewalt und Gesetzlosigkeit zu versinken.

Da hatte ein zermürbter LBJ freilich schon angekündigt, nicht zu einer zweiten Wahlperiode als Präsident anzutreten. Ausschlaggebend für seinen Rückzug war das Desaster, in das die USA unter Johnsons Führung in Vietnam geraten war. Er war blind der Strategie seines Oberkommandierenden in Vietnam, General William Westmoreland, gefolgt, der für alle militärischen Misserfolge gegen den Vietcong stets nur ein Rezept parat hatte: noch mehr US-Truppen auf das indochinesische Schlachtfeld zu schicken.

Erst als Westmoreland den Einsatz von Atomwaffen gegen die nordvietnamesische Hauptstadt Hanoi ins Spiel brachte, wurde er von Johnson im Juni 1968 abgesetzt. Johnson widersetzte sich auch Westmorelands Forderung, den Krieg zwecks Unterbrechung der Nachschubwege des Vietcong auf die Nachbarländer Laos und Kambodscha auszuweiten – was dann erst unter der Präsidentschaft Richard Nixons tatsächlich geschah.

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Durch seine frühzeitige Erklärung im März 1968, nicht erneut als Präsident zu kandidieren, wollte Johnson den Rücken dafür freibekommen, Friedensverhandlungen mit Nordvietnam aufzunehmen. Diese scheiterten jedoch, weil der südvietnamesische Diktator Thieu seine Teilnahme daran absagte. Dazu angestiftet hatte ihn der republikanische Präsidentschaftskandidat Richard Nixon mit dem Versprechen, er werde nach seinem Wahlsieg bessere Friedensbedingungen für Südvietnam aushandeln.

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Zu einem Abkommen sollte es jedoch erst 1973 kommen. Dieses machte jedoch letztlich den Weg frei für die Eroberung des Südens durch den kommunistischen Norden und kam somit der Preisgabe ganz Vietnams durch die USA gleich.

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An Johnson aber blieb das Odium hängen, die USA in einen ebenso erfolglosen wie verlustreichen Krieg verstrickt zu haben. Mit seinem Namen verbunden blieben Kriegsverbrechen wie der Einsatz von Agent Orange und die von US-Soldaten begangenen Gräuel an der vietnamesische Zivilbevölkerung, deren mediale Sichtbarkeit („Fernsehkrieg“) die Antikriegsstimmung in den USA bis tief in die Mittelschichten hinein anheizte.

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Die horrenden Verbrechen der nordvietnamesischen Kommunisten und ihrer südvietnamesischen Hilfstruppen – deren drohende Terrorherrschaft das ursprüngliche Motiv für das amerikanische Eingreifen gewesen war – wurden nun hingegen nicht mehr wahrgenommen. So wenig wie die Tatsache, dass es bereits Kennedy gewesen war, der die Vereinigten Staaten auf die abschüssige Bahn des Vietnamengagements gebracht hatte.

Was LBJ selbstverständlich nicht von seiner Mitschuld und seiner Mitverantwortung für das Grauen des Vietnamkriegs entlastet. Doch hat er es nicht verdient, dass darüber seine bedeutenden Leistungen als Präsident vergessen werden.

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